Am
Samstag, dem 29. April 2017, kam es wieder einmal zu einem der
Höhepunkte im Veranstaltungskalender des Münchner Literaturbüros -
Finale und Schlusslesung des 24. Haidhauser Werkstattpreises.
Im
gut gefüllten Saal der Münchner Stadtbibliothek im Gasteig stellten
sich zehn AutorInnen dem Urteil des Publikums. Alle zehn hatten sich
zuvor und im Verlauf eines Jahres mit einem Sieg beim Offenen Abend
im Münchner Literaturbüro für ihre Teilnahme qualifiziert.
Dieses
Jahr und im Gegensatz zu manch einem zuvor betrug der Anteil
weiblicher Teilnehmer leider nur 30 Prozent, was zwar immerhin der
mickrigen und eh nie erreichten mehr-oder-minder-Selbstverpflichtung
deutscher Dax-Konzerne entspricht, aber noch Luft nach oben lässt.
Den
Anfang machte Angela Gutschmidt mit "Bücher statt Menschen"
einem Text aus ihrem schon im Münchner Literaturbüro vorgestellten
Projekt an Erzählungen, die sich aus zufällig in Kontaktanzeigen
gefundenen Zitaten heraus entwickeln. In dieser Geschichte traf man
eine passionierte Leserin, die sich von ihrer frisch geschiedenen
Schwester angestachelt mit einem Herrn trifft, der sich Friedrich
Nibelungen nennt und sich als böse Überraschung entpuppt - nicht
nur seiner plumpen Anmache wegen, sondern auch weil er eh nur Schrott
liest. Flott und amüsant erzählt, definitiv kein Schrott und ganz
bestimmt kein solcher Reinfall wie dieser Typ - Nibelungen, schon der
Name - da schwante einem Böses (ach nein, das ist ja Lohengrin ...
mein Irrtum!)
Wie
die nächste Autorin Ursula Dimper erklärte, hatte sie sich nach all
den Vorwürfen, dass sie immer so düstere Sachen schreibe, mit ihrer
Erzählung "Neulich im Zoo" mal etwas Amüsantes
vorgenommen: Ein Mann erwacht, ohne zu wissen, wieso und warum im
Affengehege: Der Wärter behandelt ihn wie alle anderen Affen, das
Zoopublikum ist amüsiert und zückt bloß seine Smartphones, Rettung
ist erst einmal keine in Sicht. Nur eine Äffin scheint sich mit ihm
befreunden zu wollen. Was zuerst kafkaesk anmutet, erweist sich
letztlich als Racheplan eines betrogenen, verlassenen, aber trotzdem
wohl fast allmächtigen Ehemannes, dem das aber auch nichts mehr
hilft, denn seine dann-wohl-endgültige Ex schließt den von ihr
glücklich aus dem Affengehege Befreiten endlich in ihre Arme und
verreist mit ihm in den wohlverdienten gemeinsamen Urlaub.
Der
Witz war zu gesucht, der Einfall wurde überstrapaziert, und
überhaupt strotzte das alles vor psychologischen und
lebensweltlichen Unwahrscheinlichkeiten. Das Publikum blieb so ratlos
zurück wie die verlassene Äffin, die Ärmste. Dass sich die Autorin
bei der Beschreibung der Affen nicht zwischen Gorilla, Orang Utan und
Pavian entscheiden konnte, war da noch das kleinste taxonomische
Problem. (Linné wird éh überschätzt.)
Dann
aber zu etwas ganz Anderem, zu Christoph Michels' "im gelb &
weiter": in einem stakkatohaften, atemlosen inneren Monolog
überschlugen sich Wahrnehmungs-, Gesprächs-, Satz- und Denkfetzen,
die zusammen einen ziel- und planlosen Streifzug durch das
sommerheiße Paris ergaben, Zufallsbegegnungen und das Warten auf
eine Nachricht von "ihr". Ein durch was auch immer
getriebener Text getrieben vorgetragen. Wenn man auch die Vorbilder
für solch eine Art des Schreibens wiedererkannte, wagte der Autor
doch etwas auch sprachlich ganz Eigenes. Wie schreibt Christoph
Michels in seiner Vita zu seinem Tagessieg: 'There's more to come.'
Let's hope so.
Eine
ganz andere Art von Getriebenheit bestimmte die Erzählung "15
Minuten" von Marion Zechner. Wie der Titel und die akribisch im
Text herunter gezählten Minuten ahnen lassen, geht es um etwas
Wichtiges und geht das nicht gut: Eine junge Frau auf dem Weg zu
ihrem (für sie und ihren für sie sich aufopfernden Vater) bisher
wichtigsten Termin - einem Stipendiumsgespräch - und alles geht
schief, was schief gehen kann: Auto springt nicht an, Anlasserkabel
des Wohnungsnachbarn, Stau, Baustelle, rote Ampeln ... und die Zeit
läuft gnadenlos ab. Das Ziel der Fahrt und sogar noch rechtzeitig
vor Augen verursacht sie einen Unfall und den Tod eines Radfahrers.
Plötzlich steht die Zeit still, und was war noch einmal ach so
wichtig? Auch wenn man es so oder ähnlich kommen sah, berührte das
Ende doch die Zuhörer.
Hartwig
Nissen präsentierte mit "Klare Konturen" eine Erzählung
in alter Manier, (um bei Ingo Schulze zu schnorren.) Ein schon
betagter Graphiker wird von einer jungen Frau verführt, die er
danach nur einmal noch wiedersieht, nämlich ein gutes Jahr später
und dann mit Kinderwagen und Neugeborenem. Und da dämmert ihm etwas
bzw. alles, und er fühlt sich auf gleich mehrfache Weise beraubt.
Solide erzählt und mit überraschendem Schluss.
Nach
der Pause setzte Helmut Friedrich mit "Die Wäschereimeisterin"
den Lesereigen fort: Niederbayrische Provinz, ein Außenseiter im
Dorf, dem einer unbedachten Äußerung zum Pfarrer wegen die Firmung
verweigert wurde, was anscheinend sein Leben verpfuschte und den
sozialen Tod bedeutete in der niederbayrischen Provinz. Die
Wäschereimeisterin aus dem Titel, die seltsamerweise eigentlich als
Buchhalterin beim Bistum Passau arbeitet, setzt sich eines Tages,
warum auch immer, zum einsamen Außenseiter an den Tisch und auf ein
Bier bzw. Weißbier. Die anderen trauen ihren Augen nicht, aber die
Wäschereimeisterin erkennt da und dort, dass der Außenseiter und
seine ganze Geschichte nur ein Konstrukt des Dorfes sind. Ein erst
einmal nicht unbedingt naheliegender Gedankengang und
Erkenntnisschluss in der niederbayrischen Provinz, der sich aber
erklärt aus der Wäschereimeisterin Besuchen verschiedener
philosophisch-theologischer Vorträge beim Bistum Passau, bei denen
es offenbar um ontologischen Status und Materialismus gegen
Idealismus ging. (Dass der Nominalismus-Realismus-Streit in der
niederbayrischen Provinz noch immer tobt, wer hätte das gedacht?)
Dem
ersten Stück mit der Wäschereimeisterin folgte ein zweites, in dem
die Wäschereimeisterin täglich die Daily Soap um einen Mann aus der
mecklenburg-vorpommerschen Provinz verfolgt, der sich seine tägliche
Daily Soap um eine Wäschereimeisterin aus der niederbayrischen
Provinz auf keinen Fall entgehen lässt. Es kommt, wie es kommen
muss, irgendwann schauen sich die beiden wie der Spiegel im Spiegel
im Fernsehen gegenseitig beim sich gegenseitigen Zuschauen zu, bis
einer von beiden den Fernseher und damit den anderen ausschaltet -
eine philosophisch pfiffig-überraschende Lösung für einen
regressus ad infinitum, und ein auch sonst recht unterhaltsamer
Komödienstadel für die Postmoderne.
Dass
Markus Hallinger mit "Zwei Erinnerungsstücke" ähnlich
bayrisch provinzielles Gelände betrat, hat dem Text und vor allem
der Aufmerksamkeit des Berichterstatters arg geschadet, der
angesichts solch Rücken an Rücken geballter Bavarica seine Seele
baumeln und seine Konzentration schleifen ließ, Was ihm noch
erinnerlich: Zwei sehr gut geschriebene Erinnerungsversuche, die
letztendlich leider unter Wert verkauft wurden.
Dann
aber Franz Oberhofers "Arktische Notate" bzw. deren erster
Teil. Diesem Text hier auch nur im Ansatz gerecht zu werden, wäre
höchst vermessen. Eine solche Aufeinanderfolge an Bildern, Fügungen,
Metaphern, Themen und Sprechweisen trug den Zuhörer innerhalb
kürzester Zeit aus der Kurve und ließ ihm nur noch, mehr oder
weniger ratlos/überwältigt/baff/hingegeben dem Anschwall zu
lauschen. Widerstand war zwecklos, jedwedes Verstehen überfordert.
Trotzdem klang das alles noch lange nach, ja führte im Nachklang zu
eigenen Sprachspielen und -versuchen, weiß der Berichterstatter doch
um keinen Preis mehr zu sagen, ob die Zeile 'Streunende Seehunde
enden in Sepsis' nun von ihm selbst oder vom Autor stammt.
(Vielleicht handelt es sich aber auch nur um die vernuschelte
Text-Zeile aus einem Grönemeyer-Song: 'Ich hab' die sepierenden
Seehunde streunen geseh'n!')
Wer
den Text nachlesen will und dadurch zu einem nachträglich
anderen Urteil und vielleicht besseren Verständnis kommen will, sei
hierauf verwiesen:
Nach
den Schrecken des Eises und der Finsternis kamen die Zuhörer bei
Wolfram Hirches "Gedichten" wieder in ruhigeres Fahr- und
Lesewasser: Mal augenzwinkernde spät-spät-romantische Naturlyrik zu
Mond und Wintertag, mal lakonisches Spätwerk-Parlando. Und dann auch
noch ein DIY-Porn* vom Feinsten. Der Altmeister wusste wieder einmal
zu überzeugen. *Baumarkt-Porno
Den
Abschluss bildeten die ""Gedichte"" von Gerhard
Häusler; oder besser, und wie er selbst sagte, erst Gedichte und
dann immer mehr Kabarett (Anm. d. Red.: nicht das nackerte, sondern
das politische) und, wie es sich gehört, auswendig vorgetragen. Dass
mit der politischen Botschaft gegen Ende hin auch die
Nachdrücklichkeit (manch einer würde sagen die Lautstärke) zunahm,
sollte da nicht zu sehr stören. Bayrischer Filz, Flüchtlinge,
Unmenschlichkeit, das musste einfach mal gesagt werden, und wurde es
dann auch.
Nach
einer spannenden Auszählung des Publikums-Votums ergaben sich
folgende Platzierungen:
Sieger:
Christoph Michels „im gelb & weiter".
Nachzulesen
übrigens hier:
Helmut
Friedrich: „Die Wäschereimeisterin"
Wolfram
Hirche: „Gedichte"
Hartwig
Nissen: „Klare Konturen"
Angela
Gutschmidt: „Bücher statt Menschen"
Ursula
Dimper: „Neulich im Zoo"
Marion
Zechner: „15 Minuten"
Gerhard
Häusler: „Gedichte"
Franz
Oberhofer: „Arktische Notate: In See stechen, mein Wort Fliehkraft"
Markus
Hallinger: „Zwei Erinnerungsstücke"
Bericht: Dieter Fuchs
Alle Fotos von Benjamin Oberhofer außer dem Foto der drei ersten - dieses von Josef Rohrhofer
Alle Fotos von Benjamin Oberhofer außer dem Foto der drei ersten - dieses von Josef Rohrhofer